Aschenbecher

Ein neuer Tag, ein neuer Kunde, ein neuer Auftrag,
eine Wohnung wie jeden andere, wie sonst auch immer, einfach meine Arbeit machen, doch was ist das?
Ich sperre die Wohnung auf, ein satter, schwerer Geruch, nichts neues und doch, was ist hier los? Es ist dunkel, die Stromrechnung wurde wahrscheinlich über einen längeren Zeitraum nicht bezahlt, es ist unangenehm, ich sehe nichts, hätte ich das früher gewusst, hätte ich meine Taschenlampe schon parat, so Lampe da, los geht’s…….. Oh Gott ….

Alles voller Bierflaschen, es glänzt wie in einer Höhle wo sich das Taschenlampenlicht in den Kristallen bricht und bizarr zurückstrahlt, überall Flaschen, Flaschen über Flaschen, aber ein Weg, ein Weg der sich den ganzen Flur entlang schlängelt, ca. 30 cm breit.

Ich folgte diesem Weg nach links ins Wohnzimmer, vorbei am Bad, wo ich mal kurz mit meiner Taschenlampe hineinleuchtete. Großer Gott, das Bad ist ja auch voller Flaschen, die Wanne, fein säuberlich rein gestapelt, na da haben wir ja zu tun, wer macht sowas ? Armer Mensch.
An der Wohnzimmertür angekommen eröffnete sich mir eine andere Welt, ein Labyrinth aus Wegen, gebaut aus Flaschen, mit Straßen und schau da, eine Kreuzung, ein Abzweig zur Küchenzeile, vielleicht Küchenzeile, ich sehe nur Müll und Unrat.

Mit meiner Taschenlampe fange ich an das komplette Wohnzimmer abzuscannen , 360 Grad, eine andere Welt, faszinierend, akribisch gebaut, alles aus Bierflaschen. Türme aus durchsichtigen Müllsäcken, gelbe Türme, Säcke gefüllt mir leeren F 6 Schachteln und blaue Türme, Pall Mall-Schachteln in Säcken, fein säuberlich zugebunden.
Der verstorbene war ein starker Raucher, die Wände und Gardinen waren dunkelbraun, in der Ecke den Wohnzimmers, gleich neben dem Sofa ein Aschenbecher von apokalyptischen Ausmaß. Zirka 1,50m x 1,00m und auch gute 80 cm hoch, eingebettet in Bierflaschen.

Das es hier nicht gebrannt hat ist großer Zufall. Die Gardine über diesen Aschenbecher ist schwarz und überall elektrische Geräte, Fernseher, Receiver, Videorekorder, Radios und CD-Spieler in doppelter, drei- vierfacher Ausführung und da, eins, zwei, drei, vier, fünf….nein sechs Fernseher….unglaublich. Die Geräte alle noch in der Steckdose, teilweise wahrscheinlich über Jahre angeschlossen….kochend heiß und darüber Müll, Kunststoff- Papiertüten, ich kann mir gar nicht vorstellen, wenn es hier gebrannt hätte, dies zu löschen, hier alleine im Wohnzimmer lagern bestimmt 4 bis 5 Tonnen Müll…….ein Glutnest ohne gleichen…..

Hinter mir offenbart sich ein Blick über die Kochnische, blaue Küchenmöbel, denke ich zumindest, schwer zu erkennen, die Küche ist aber noch nicht alt, sieht sehr modern aus. Die komplette Arbeitsplatte ist verschwunden, man sieht keinen Zentimeter mehr. Alles mit Tüten, Taschen, Verpackungen und allen möglichen zugebaut. Ein großer brauner Teppich liegt auf der Arbeitsplatte, nein kein Teppich, was ist das ? Es klebt, eine dickflüssige Masse über Arbeitsplatte und Türen, hier ist etwas ausgelaufen, es ist sehr flauschig, Schimmel ? ich weiß nicht, es riecht bissig….
Hinter der Kaffeemaschine stapeln sich hunderte gebrauchte Kaffeefilter, alle sorgsam in die Ecke gedrückt, es sieht aus wie das Matterhorn, schroffe Wände, ein einziges Stück.
Ich öffnete ein Schubfach, Etiketten, hunderte, herausgeschnitten aus der Unterwäsche und hier abgelagert, ja hier, denn hier war der Platz dafür.
Er konnte nicht mehr waschen, das Waschbecken, die Wanne, alles zugebaut, also kaufte er immerneue Kleidung und trug sie bis zur Unkenntlichkeit, legte sie dann aber an seinem Platz ab graue Unterwäsche da, weiße Unterwäsche da, was heißt hier eigentlich weiße ?

Ich schaue mich weiter um, in der anderen Küchenecke noch ein Berg, leere Kondensmilchbehälter, hunderte, Wahnsinn und trotzdem, es klingt verrückt, aber trotzdem bewundere ich diesen Menschen, wie er in diesem Chaos, in diesem Müllbergen, in dieser skurrilen Welt, wie er dort für Ordnung sorgt, seine Ordnung natürlich, nicht unsere, er hat sich seine eigene Ordnung erschaffen, die er für richtig erachtet, jemand anderes kommt ja eh nicht in die Wohnung, also ist er der Herr, der Herrscher über sein Chaos, also kann er auch bestimmen und das hält ihn wach, es ist schließlich seine Welt….

Jetzt kommt mir eine auf, wo ist er eigentlich auf die Toilette gegangen? Ich gehe zurück zum Bad, hebe den Toilettendeckel an, vorsichtig, da ich da schon öfters meine Überraschung erlebt habe……Ja, wie vermutet, bis oben hin voll….., also jetzt geht’s zur Suche, was jetzt kommt wird sie sicherlich verwundern, oder nicht verwundern, sondern sogar anwidern. Hinterm Sofa wurde ich fündig, Wasserflaschen, Limonadenflaschen, Dosen, Kunststoffdosen, Colaflaschen bis oben hin gefüllt, jedoch nicht mit Cola, sondern alles mit menschlichen Urin gefüllt…..Das ist für uns Normalität, traurige Normalität….

Es sind immer wieder so unglaublich verschmutzte, so unglaublich verdreckte Wohnungen, wo ich mich immer wieder frage, hier lebte ein Mensch, ein Mensch wie du und ich, hat er es denn verdient so zu leben? Nein nicht zu leben, zu vegetieren, vor sich hin zu vegetieren, sowas tut man doch nicht einmal einem Tier an…… und so lebte dieser Mensch, einfach traurig……

Aber genau dieser Mensch hat auch Mutter, Vater und Bruder, sie lebten sogar in der selben Stadt, ich kann es nur nochmals wiederholen, einfach nur traurig, so traurig……

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